SVIL Dienstleistungen
Schweizerische Vereinigung Industrie und Landwirtschaft
"Qualitätsstrategie" mit Flurschaden — negative Auswirkungen des Cassis de Dijon-Prinzips
SVIL Vernehmlassung zur Einführung des Cassis de Dijon-Prinzips vom 16. März 2007
Die völlig überraschten Reaktionen der Konsumentenvertreter und der Grünen Partei auf den nun sichtbar werdenden Schaden, welcher die völlig unnötige und überstürzte Einführung des Cassis de Dijon Prinzips der EU in der Schweiz auf die schweizerischen Qualitätsstandards im Lebensmittelbereich nun anrichtet, zeigt, wie komplex diese Materie ist. Damit ist die Achillesferse der im Zusammenhang mit den EU Agrarfreihandelsverhandlungen kreierte "Qualitätsstregie" deutlich geworden: der ungehinderte Import billiger Lebensmittel in die kaufkräftige Schweiz. Etwas anderes ist auch beim Agrarfreihandel nicht zu erwarten. Was einst vom Bundesrat als Präventivschlag zu Gunsten des Agrarfreihandels konzipiert war, könnte sich nun als Chance erweisen aus dem bereits angerichteten Schaden rechtzeitig doch noch klüger zu werden.
Anfangs 2007 haben wir an Frau Bundesrätin Leuthard geschrieben:
"Das Cassis-de-Dijon-Prinzip beruht auf der Auffassung, dass der tiefste Standard unter den Handel treibenden Ländern sich vorbehaltlos durchsetzen darf. Ein Land darf z.B. bei Lebensmitteln nicht höhere Standards festlegen und den Import von Waren verbieten, die diesem "Heimstandard" nicht entsprechen. Genauso wie der tiefere Preis nicht abgewehrt werden darf, darf nun auch der tiefere Standard, der irgendwo in einem der Herkunftsländer gilt, beim Versuch der Übertragung in Länder mit höheren Standards nicht abgewehrt werden. Das ist die Kernbotschaft des Cassis-de-Dijon-Urteils.
Was ist das Motiv dieses Urteils? Es geht darum, das Handelsvolumen und das Wachstum zu fördern.
Anstoss nehmen wir daran, dass im "Erläuternden Bericht" des Bundesrates die Hauptwirkung bei den Privathaushalten unter den bedeutenden Produktekategorien die "meisten Lebensmittel" an erster Stelle genannt werden. Da gerade durch das Cassis-de-Dijon-Prinzip der Handel stark gefördert wird, nimmt dabei die Lebensmittelqualität weiter ab, die Gesundheitskosten steigen, der sinnlose Energieverschleiss auch im Nahrungsmittelsektor nimmt zu, die Ernährungssicherheit nimmt weiter deutlich ab und die Risiken der Versorgung der Konsumenten wachsen.
Wir müssen heute nach einer nachhaltigen Form der Lebensmittelproduktion und der Ernährung suchen, wobei die Ernährungssicherheit auf der Basis einer konsumnahen Landwirtschaft wieder erste Priorität hat.
Betrachtet man die wirtschaftliche Entwicklung auch als Kulturprozess, dann kann man das Cassis-de-Dijon-Prinzip in seiner gleichmacherischen und nivellierenden Weise nicht "grundsätzlich begrüssen", da das Prinzip falsch ist. Genauso wie der Warenpreis nicht die einzige Information an den Konsumenten sein kann, sondern die Informationen über die Produktionsbedingungen heute immer wichtiger werden, kann es bei der Entwicklung eines nachhaltigen Konsums nicht angehen, die Definition von Standards flächendeckend zu unterlaufen.
Nun versucht der Vorschlag des Volkswirtschaftsdepartementes in der Teilrevision des Bundesgesetzes über die technischen Handelshemmnisse Abweichungen von diesem Prinzip festzulegen. Es ist schon recht kompliziert, das Konzept mit den zulässigen Abweichungen, Anwendbarkeiten etc. in seiner längerfristigen Entwicklung zu überblicken und vor allem seine Auswirkung auf die landeseigene Kultur im Zusammenhang mit den Qualitätsvorstellungen abzuschätzen. Die konsumnahe Landwirtschaft und das Interesse an einer eigenen Ernährungsbasis lebt von der Erfahrung, dass wir als Gesellschaft diese Qualität gestalten können müssen - nicht zuletzt unter den externen Einflüssen immer stärker schwankender Märkte.
Mit der Einführung des Cassis-de-Dijon-Prinzips wird der Anspruch der Konsumenten, die Lebensqualität ihrer Umwelt nach eigenem kulturellen Willen nachhaltig gestalten zu können, durch ein Standard-Dumping sehr stark in Frage gestellt.
Wir plädieren deshalb für eine Rückweisung der Vorlage an den Bundesrat zu Handen einer Neubeurteilung."