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Schweizerische Vereinigung Industrie und Landwirtschaft

Stellungnahme zur Teilrevision des Bundesgesetzes über die technischen Handelshemmnisse (THG), Einführung des Cassis-de-Dijon-Prinzips

Vernehmlassungsfrist bis 16. März 2007

An das
Staatssekretariat für Wirtschaft
Ressort nichttarifarische Massnahmen
Effingerstrasse 1
3003 Bern

Zürich-Oerlikon, 16. März 2007

Sehr geehrte Frau Bundesrätin Leuthard
Sehr geehrte Damen und Herren

Vorbemerkung

Unsere Vereinigung setzt sich aus der gesellschaftlichen Perspektive für die Sicherung einer starken konsumnahen Landwirtschaft ein. Unsere vorliegende Stellungnahme beruht auf den gleichen Grundgedanken wie jene zur AP 2011. Wir vertreten keine Geschäftsinteressen aus den der Landwirtschaft vor- und nachgelagerten Stufen. Es geht ausschliesslich um die Sicherung unserer Ernährung, wozu auch ein gewisser Rahmenschutz gehört.

Mit der vorliegenden Teilrevision soll das sogenannte Cassis-de-Dijon-Prinzip zusätzlich eingeführt werden.

Als Begründung für die Einführung dieses Prinzips wird in den Vernehmlassungsunterlagen angeführt, dass gerade bei einem international intensiv verflochtenen Land wie der Schweiz die Anwendung unterschiedlicher Produktionsvorschriften zu überdurchschnittlichen Behinderungen des Handels führe und damit unnötige und vermeidbare Kosten auslöse.

Auf Grund der zunehmenden internationalen Arbeitsteilung ist die Harmonisierung der Handelsvorschriften sowie die gegenseitige Aufhebung der Handelshemmnisse bereits im Gang. Es geht dabei um einen bewussten Gestaltungsvorgang auf Ebene der internationalen Wirtschaftsbeziehungen. Dieser Weg soll zum gegenseitigen Nutzen der Volkswirtschaften auch in Zukunft weiter beschritten werden. Es geht dabei nämlich um einen analog zum Ausbau der internationalen Arbeitsteilung laufenden Anpassungsprozess und um eine bewusste Gestaltung der Handelsvorschriften auf der Basis des gegenseitigen Vorteils - auch unter Berücksichtigung, dass die strategischen Erfolgspositionen und die historischen und naturräumlichen Ausgangslagen der einzelnen Länder ganz unterschiedlich sind. Daraus ergibt sich im Rahmen der internationalen Arbeitsteilung ein sehr vielfältiges und die Innovation förderndes Gestaltungspotential.

Ganz anders beurteilen wir die Stellung und die Wirkung des Cassis-de-Dijon-Prinzips.

Das Wertschöpfungspotential, das in der Differenzierung der Räume liegt, wird unseres Erachtens bei der dem Vorschlag zu Grunde gelegten Analyse übersehen. Es werden "Behinderungen" wahrgenommen, welche durch die in den Ländern geltenden unterschiedlichen Vorschriften ausgelöst werden. Die daraus abgeleitete Tendenz zur Vereinheitlichung der Räume übersieht, dass den Einsparungen der Transaktionskosten neu ein Verlust an Wertschöpfung gegenübersteht: denn in einem vielfältig strukturierten Raum sind letztlich die Innovation und der Konsum grösser als in einem nach Vereinheitlichung strebenden Grossraum.

Das Cassis-de-Dijon-Prinzip beruht darauf, dass der tiefste Standard einer Konsumware, der in irgendeinem Land Anwendung findet, in allen Ländern der EU automatisch ebenfalls zugelassen werden muss bzw. ebenso bereits als zugelassen gilt. Dieses neue Prinzip wirkt nun wie eine über die Staaten hinweg beschlossene Grenzöffnung im Bereich der Standards. Das Cassis-de-Dijon-Prinzip stellt ein Quasi-Freihandelsabkommen mit der EU dar. Bei Preisen und Mengen ist zwar ein Freihandelsabkommen zwischen der Schweiz und der EU noch nicht realisiert und die Handelsverhandlungen unterliegen dem bisher beschrittenen Weg und Gestaltungsprozess, der notwendig ist.

Auch wenn im vorliegenden Vorschlag Ausnahmen für den Lebensmittelbereich vorgesehen sind, ist die Wirkung dieses Prinzips auch auf den Lebensmittelbereich gegeben. Das Prinzip trägt auch den Namen eines verarbeiteten Lebensmittels im weitesten Sinn. In unserer Stellungnahme verzichten wir deshalb, auf die einzelnen Listen einzugehen und konzentrieren unsere Aussagen auf grundsätzlichen Fragen.

Es wird behauptet, dass die unbesehene Zulassung tieferer Standards den Wettbewerb belebt. Wir möchten diese Behauptung relativieren: Die Ursache höherer Preise im Inland liegt nicht in den Handelshemmnissen und in der daraus abgeleiteten fehlenden Wettbewerbsfähigkeit. Höhere Preise sind auch Auswirkung der hohen Kaufkraft der Schweiz und der hohen wirtschaftlichen Effizienz des Landes. Das führt auch dazu, dass Qualität innerhalb der Schweiz gerade unter dem permanenten Druck, dem hohe Preise ausgesetzt sind, auch sehr effizient produziert wird. Obwohl die Preise im absoluten Vergleich zu volkswirtschaftlich rückständigeren Ländern höher sind, werden sie im Preisgefüge unserer Binnenwirtschaft effizienter und mit höherer Qualität produziert. Bei der Herausbildung dieser binnenwirtschaftlichen Effizienz spielt es eine Rolle, welche binnenwirtschaftlichen Standards dabei gelten und wie sie im Laufe der Zeit auch verbessert und angehoben wurden. Wenn diese Standards schlagartig nicht mehr eingehalten werden müssen, entsteht ein Sog, der die bisherigen Standards in ihrer Wirkung schwächt.

Die höhere Qualität ist für Konsumenten nur stabil, fassbar und erfahrbar, wenn sie auch von höheren Standards umgeben ist. Deshalb brauchen Produkte mit höherer Qualität auch besondere Auszeichnungen. Das schützt sie aber grundsätzlich nicht vor dem Sog, der durch die tiefen Preise von Produkten mit geringeren Standards ausgelöst wird. Werden nun die Standards eingeebnet, dann wirkt das wie eine Öffnung der Handelsschranken. Höhere Preise und höhere Qualität können aber nur verständlich gemacht werden, wenn die Produktionsbedingungen, die Herkunft, etc. immer besser kommuniziert werden können, wenn also die Wahrheit der Produktion - auch mit allen Bezügen zur Nachhaltigkeit - immer mehr in den Vordergrund gestellt werden kann.

Die problematischste Wirkung des Cassis-de-Dijon-Prinzips besteht nun darin, dass die bewusste Nicht-Deklaration auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner zum positiven, durchsetzbaren Dumping-Standard gemacht wird. Damit wird eigentlich die Negation des Standards zum Standard erhoben.

Durch die Anwendung des Cassis-de-Dijon-Prinzips werden Waren unterschiedlicher Preise und Waren unterschiedlicher Standards frei durcheinander angeboten. Der Zusammenhang zwischen Produktion und Konsum, der in einen gesellschaftlichen Kontext eingebettet ist, geht verloren und endet in der vollständigen Unübersichtlichkeit. Wenn also die Konsumenten eines Landes weniger für die Umwelt ausgeben und gewisse Standards noch nicht eingeführt haben, dann reissen sie durch das Cassis-de-Dijon-Prinzip die in weiter entwickelten Volkswirtschaften eingeführten höheren Standards wieder ein. Das Prinzip fördert so Wachstum - aber direkt auf Kosten der Nachhaltigkeit.

Seitenblick zur Agrarpolitik 2011

Die angeführte Qualitäts- und Standarddiskussion findet natürlich auch in der Landwirtschaftspolitik statt. Bis zur Uruguay-Runde wurde die Landwirtschaft - eben wegen der sehr grossen Unterschiede in den natürlichen, sozialen und wirtschaftlichen Standards zwischen den einzelnen Staaten aus den Handelsverhandlungen herausgehalten. Der bisherige Einkommensausgleich zu Gunsten der Landwirtschaft durch Grenzschutz und internen Einkommensausgleich wurde nun in den letzten 15 Jahren unter dem Einfluss der WTO stark reduziert. Der Prozess ist nun im Jahre 2006 durch die Weigerung der USA, auf die Exportförderung zu verzichten, an eine gewisse Grenze gestossen. Damit hat der Reformprozess im Sinne der weiteren Reduktion der Landwirtschaft von Seiten der WTO an Energie verloren. Ein direktes Freihandelsabkommen der Schweiz im Bereich der Landwirtschaft mit der EU würde jedoch die Landwirtschaft deutlich reduzieren. Überdies würden die Einkommen der verbleibenden Landwirte dennoch kaum sicherer werden. Wie in einem Land mit nach wie vor hoher Kaufkraft die Preise deutlich sinken sollen, bleibt ungewiss. Deshalb wächst auch hier die Einsicht, dass die Behauptung, hohe Preise seien ausschliesslich ein Zeichen der Wettbewerbsschwäche, nicht stimmen könnte. Ja es ist sogar so, dass weitere Anstrengungen, im Binnenmarkt die Leistungen bezüglich Preisen und Qualität zu verbessern, durch eine Korrektur der Währung wieder ausgeglichen werden.

Die "Binnenmarktreform" zur Anregung von mehr Wachstum soll nun direkt durch das Cassis-de-Dijon-Prinzip wieder beschleunigt werden. Bis jetzt wurde versucht, dasselbe Ziel über die Öffnung der Landwirtschaft zu erreichen. Aus der Einsicht, dass es eine eigene inländische und konsumnahe Landwirtschaft braucht, wurde der Reformprozess gedrosselt. Nun soll das Cassis-de-Dijon-Prinzip ersatzweise einspringen und den Binnenmarkt öffnen. Das Cassis-de-Dijon-Prinzip ist ja eine Regelung aus dem Lebensmittelbereich, die nun auf den gesamten Binnenmarkt ausgedehnt wird. Die aufgelisteten Ausnahmen im Lebensmittelbereich werden aber gerade wegen der Radikalität dieses Prinzips nicht von Dauer sein und somit die Auflösung der eigenen Landwirtschaft und der nachhaltigen Ernährung im nachgelagerten Bereich bewirken.

Die einseitige Einführung des Cassis-de-Dijon-Prinzipes erfolgt aus der Überlegung, dass der ausgelöste Wachstumsimpuls gesamthaft grösser sei als die damit verursachten Verluste im mittelständisch/industriellen Bereich der Lebensmittelproduktion und -verarbeitung.

Diese Überlegung ist nicht neu. Sie liegt auch der laufenden Agrarreform, AP 2011, zugrunde: der Ersatz der eigenen teureren Lebensmittelerzeugung durch billigeren Import soll gemäss dieser Reformpolitik Kaufkraft der Konsumenten wachstumswirksam freisetzen. Diesem Vorteil steht jedoch im Bereich der Ernährung der Nachteil der verringerten Ernährungssicherheit und der verringerten Lebensmittelqualität gegenüber. Hier gilt es nun abzuwägen, ob man sich auf weiteres Wachstum, durch Veräusserung der eigenen volkswirtschaftlichen Substanz einlassen will oder nicht. Um die Gefahr des Verlustes der volkswirtschaftlichen Substanz vor dem Konsumenten herunter zu spielen, wurde unermüdlich die Behauptung aufgestellt, die schweizerische Landwirtschaft sei teurer, weil sie ineffizient sei. Inzwischen ist geklärt, dass die schweizerische Landwirtschaft in benachteiligtem Klima und auf relativ kleinen Betrieben sehr effizient und mit hoher Qualität produziert. Die schweizerischen Produzentenpreise müssen den Kosten im vor- und nachgelagerten Bereich sowie der einheimischen Kaufkraft gegenübergestellt werden. Da die wirtschaftliche Ertragskraft der schweizerischen Volkswirtschaft im internationalen Vergleich eine Spitzenstellung einnimmt, geniesst der schweizerische Konsument seine eigenen Landwirtschaftsprodukte zu einem relativ tieferen Preis als der Konsument im Ausland mit seiner zu absolut tieferen Preisen produzierenden Landwirtschaft. Damit zeigt sich, dass die schweizerische Landwirtschaft effizienter ist. Damit ist der reine Preisvergleich wieder in den Zusammenhang gestellt.

Mit dem Cassis-de-Dijon-Prinzip wiederholt sich nun diese Diskussion der reinen Preiskonkurrenz auf der Ebene der Standards. Die Frage ist, darf der tiefere Standard ohne Einschränkung durch territoriale Grenzen die an gewisse Bevölkerungen und Gemeinschaften gebundenen höheren Standards uneingeschränkt brechen - wie der tiefere Preis den höheren Preis aussticht? Auch hier müssen wieder die Zusammenhänge hervorgehoben werden: Die Internationalisierung der Lebensmittelmärkte wird die Wertschöpfung durch industrielle Verarbeitung fördern und damit die Lebensmittelqualität in Bezug auf ihre Wirkung auf die Gesundheit verschlechtern. Die dadurch geförderte Ausdehnung des Handels im Lebensmittelbereich, der einen gesättigten Markt darstellt, ist kein nachhaltiges Projekt.

Wir vertreten nach wie vor die Auffassung, dass eine konsumnahe Landwirtschaft und eine konsumnahe Lebensmittelversorgung für die Ernährungssicherheit eine Voraussetzung darstellen.

Das Cassis-de-Dijon-Prinzip beruht auf der Auffassung, dass der tiefste Standard unter den Handel treibenden Ländern sich vorbehaltlos durchsetzen darf. Ein Land darf z.B. bei Lebensmitteln nicht höhere Standards festlegen und den Import von Waren verbieten, die diesem "Heimstandard" nicht entsprechen. Genauso wie der tiefere Preis nicht abgewehrt werden darf, darf nun auch der tiefere Standard, der irgendwo in einem der Herkunftsländer gilt, beim Versuch der Übertragung in Länder mit höheren Standards nicht abgewehrt werden. Das ist die Kernbotschaft des Cassis-de-Dijon-Urteils.

Was ist das Motiv dieses Urteils? Es geht darum, das Handelsvolumen und das Wachstum zu fördern.

Anstoss nehmen wir daran, dass im "Erläuternden Bericht" des Bundesrates die Hauptwirkung bei den Privathaushalten unter den bedeutenden Produktekategorien die "meisten Lebensmittel" an erster Stelle genannt werden. Da gerade durch das Cassis-de-Dijon-Prinzip der Handel stark gefördert wird, nimmt dabei die Lebensmittelqualität weiter ab, die Gesundheitskosten steigen, der sinnlose Energieverschleiss auch im Nahrungsmittelsektor nimmt zu, die Ernährungssicherheit nimmt weiter deutlich ab und die Risiken der Versorgung der Konsumenten wachsen.

Wir müssen heute nach einer nachhaltigen Form der Lebensmittelproduktion und der Ernährung suchen, wobei die Ernährungssicherheit auf der Basis einer konsumnahen Landwirtschaft wieder erste Priorität hat.

Betrachtet man die wirtschaftliche Entwicklung auch als Kulturprozess, dann kann man das Cassis-de-Dijon-Prinzip in seiner gleichmacherischen und nivellierenden Weise nicht "grundsätzlich begrüssen", da das Prinzip falsch ist. Genauso wie der Warenpreis nicht die einzige Information an den Konsumenten sein kann, sondern die Informationen über die Produktionsbedingungen heute immer wichtiger werden, kann es bei der Entwicklung eines nachhaltigen Konsums nicht angehen, die Definition von Standards flächendeckend zu unterlaufen.

Nun versucht der Vorschlag des Volkswirtschaftsdepartementes in der Teilrevision des Bundesgesetzes über die technischen Handelshemmnisse Abweichungen von diesem Prinzip festzulegen. Es ist schon recht kompliziert, das Konzept mit den zulässigen Abweichungen, Anwendbarkeiten etc. in seiner längerfristigen Entwicklung zu überblicken und vor allem seine Auswirkung auf die landeseigene Kultur im Zusammenhang mit den Qualitätsvorstellungen abzuschätzen. Die konsumnahe Landwirtschaft und das Interesse an einer eigenen Ernährungsbasis lebt von der Erfahrung, dass wir als Gesellschaft diese Qualität gestalten können müssen - nicht zuletzt unter den externen Einflüssen immer stärker schwankender Märkte.

Mit der Einführung des Cassis-de-Dijon-Prinzips wird der Anspruch der Konsumenten, die Lebensqualität ihrer Umwelt nach eigenem kulturellen Willen nachhaltig gestalten zu können, durch ein Standard-Dumping sehr stark in Frage gestellt.

Wir plädieren deshalb für eine Rückweisung der Vorlage an den Bundesrat zu Handen einer Neubeurteilung.

Mit freundlichen Grüssen

Schweizerische Vereinigung
Industrie und Landwirtschaft
SVIL

Hans Bieri, Geschäftsführer

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