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Schweizerische Vereinigung Industrie und Landwirtschaft

Stellungnahme zur 'Agrarstrategie 2025'

Stellungnahme und Diskussionsbeitrag der SVIL zum Strategiepapier 2025 des BLW. Für den Vorstand der SVIL ist die Landwirtschaftsstrategie 2025 aus der Gemeinschaftsperspektive ‚Industrie und Landwirtschaft' nicht ganz unproblematisch. Für unsere Ernährungssicherung brauchen wir eine eigene Landwirtschaft.

1. Was die SVIL antreibt, sich für eine eigene Landwirtschaft einzusetzen:

2. Neue Knappheiten trotz Globalisierung zwingen zum Umdenken

3. Vorratshaltung ist kein Ersatz für Eigenversorgung

4. Nahrungsmittelexport ist kein Beitrag an die Aufrechterhaltung der Eigenversorgung

5. Fazit: Für unsere Ernährungssicherung braucht die Landwirtschaft einen dauerhaften Schutz

1. Was die SVIL antreibt, sich für eine eigene Landwirtschaft einzusetzen:

Schon einmal, nämlich 1918, ist die Nahrungsmittelversorgung der Schweiz trotz hoher Kaufkraft aus politischen Gründen zusammengebrochen. Der Selbstversorgungsgrad z.B. beim Brotgetreide lag 1913/14 nur noch bei 12 Prozent, weil man sich auf sichere und immerwährende Importe verlassen hatte. Als der Import dann ganz überraschend 1918 stockte, drohte eine Hungersnot und es kam deshalb in der Schweiz zum Generalstreik. Die Schweiz kannte damals fast keinen Grenzschutz und war das freihändlerischste Land Europas. Die schweizerische Exportindustrie war selbst weniger von Versorgungskrisen betroffen. Sie zog jedoch aus der Ernährungskrise den Schluss, dass zur Erhaltung des Werkplatzes Schweiz die KMU von einer inneren Versorgungsstabilität abhängig sind und damit ein gewisser Grenzschutz zur Gewährleistung der eigenen Lebensmittelversorgung notwendig ist.

Zu diesem Zweck wurde 1918 die SVIL in Zürich gegründet. Sie trug zum Wiederaufbau des Ackerbaues in der Schweiz bei, zur Verbesserung und Erneuerung der Produktionsstrukturen der Landwirtschaft, um eine Eigenversorgung mit Lebensmittel zu gewährleisten und den damals sehr tiefen Selbstversorgungsgrad wieder zu erhöhen. Gleichzeitig setzte sich die SVIL auch für den Ausbau der eigenen Wasserkraft und den Bau von Energie- und Verkehrsinfrastrukturen zur Stärkung der binnenwirtschaftlichen Grundlagen des Exportlandes Schweiz ein.

Volkswirtschaftlich geht es bei der Ernährung um Qualität und Quantität der Versorgungssicherheit. Die Landwirtschaft sichert diese Lebensbedürfnisse. Heute hat die Schweiz mit nur noch 7.5 % pro Kopf gemessen die tiefsten Nahrungsmittelausgaben in ganz Europa. Bevölkerung und Politik wiegen sich angesichts der globalen Verknappung der Agrarrohstoffe immer noch in falschen Sicherheiten.

2. Neue Knappheiten trotz Globalisierung zwingen zum Umdenken

Im Rahmen der Uruguay-Runde des GATT hegte man die Hoffnung, dass die Globalisierung der Wirtschaft auch die Versorgung mit sensiblen Produkten wie Lebensmitteln (ohne die wir kurzfristig nie auskommen) sichern könne und dass sich die Ernährung inzwischen wie die übrigen Konsumgütersektoren als Wachstumsmarkt eigne. Diese Hoffnung muss heute aus verschiedenen Gründen korrigiert werden:

• Immer mehr Menschen müssen von gleich viel Boden ernährt werden.

• Mit steigendem Wohlstand ändern sich die Ernährungsgewohnheiten und es werden mehr Kalorien verbraucht (Fleischproduktion).

• Es wird in der Landwirtschaft immer mehr Wasser benötigt. Dies führt auch zu einer veränderten Beurteilung des bisher als klimatisch benachteiligt angesehenen Produktionsstandortes Schweiz (Wasserschloss Schweiz).

• Es werden immer mehr Böden zur Produktion von Agrotreibstoffen beansprucht.

• Die Auswirkungen der Klimaveränderung sind noch nicht absehbar.

• Die Sicherung der Qualität der Lebensmittel und eine nachhaltige Verarbeitung und Verteilung bedingen eine geografische Nähe zwischen Konsumenten und den landwirtschaftlichen Anbaugebieten.

• Die Spekulation mit Grundnahrungsmitteln, d.h. die Versuche, Preissteigerungen vorwegzunehmen, gefährdet die Liefersicherheit und fördert die schädliche Preisvolatilität.

Aus diesen Gründen darf der heutige Selbstversorgungsgrad durch die eigene Landwirtschaft von 60 % (nach Abzug der Futtergetreideimporte noch 54%) nicht weiter unterschritten und der Ackerbau nicht wieder reduziert werden, denn Produktion und die Verarbeitung der 1. Stufe sind für die Versorgungssicherheit unabdingbar. Die Lebensmittel sollen gesund und sowenig wie möglich denaturiert genossen werden können.

3. Vorratshaltung ist kein Ersatz für Eigenversorgung

Aus den obigen Darlegungen folgt, dass die Vorratshaltung (wie z.B. beim Getreide von 4 Monaten) ungenügend ist. Die landwirtschaftliche Produktion selbst muss im ausreichenden Umfang aufrechterhalten werden. Erst bei einem nachhaltig gesicherten Selbstversorgungsgrad von mindestens 60 % und einer rationierten Ernährung (mit Umstellung) können längerfristig andauernde Engpässe überstanden werden. Auch die Standortgunst der in der Schweiz vorhandenen Wasserreserven kann für die Ernährungssicherung nur genutzt werden, wenn die einheimischen Produktionsstrukturen erhalten bleiben.

Auch im Bereich Energieversorgungssicherheit werden ja analoge Überlegungen gemacht, strategisch wichtige Strukturen zu stützen und sogar auszubauen.

4. Nahrungsmittelexport ist kein Beitrag an die Aufrechterhaltung der Eigenversorgung

Vom Preissockel des Hochpreisstandortes Schweiz herab können keine Exportmärkte aufgebaut werden, welche den mangels Grenzschutz verlorenen Inlandanteil nennenswert ersetzen könnten. Hoffnungen, die diesbezüglich der Landwirtschaft und der ersten Verarbeitungsstufe (Erstverarbeitung von Getreide, Gemüse, Ölgewächse, etc.) gemacht werden, entbehren jeder Grundlage bzw. widersprechen sogar einschlägigen wissenschaftlichen Studien. Zudem fehlen in der Schweiz die in der EU ausgerichteten Förderbeiträge an die erste Verarbeitungsstufe. Nur im Bereich der hochverarbeiteten Produkte der Nahrungsmittelindustrie ist es anders: Da gibt es Spezialitäten, die jedoch sehr eingeschränkt bleiben oder sich auf Produkte beziehen, die ohnehin Lebensmittel verarbeiten, die in der Schweiz gar nicht angebaut werden können.

5. Fazit: Ernährungssicherheit gibt es nur durch dauerhaften Schutz der Landwirtschaft

Der Importschutz kann aus folgenden Gründen nicht vollständig beseitigt werden:

• Die Landwirtschaft aus einem wertschöpfungsstarken Hochpreis- und Hochlohnland wie der Schweiz kann im Export nicht mit Ländern, in denen deutlich tiefere Preise herrschen, konkurrieren. Auch mit einer sogenannten Qualitätsstrategie lassen sich diese bestehenden Preisunterschiede — von Nischen abgesehen — nicht über-winden.

• Exportsubventionen im Ernährungssektor werden in verschiedenen Ländern häufig versteckt gewährt. Da die Schweiz ein Nahrungsmittelimportland ist, kann sie nur beim Importschutz korrigierend eingreifen.

• Die Schweiz als kaufkräftiges Importland kann sich hier einen gewissen Widerstand gegen einen weiteren Abbau des Grenzschutzes leisten, wie ihn die Doha-Runde oder ein Freihandelsabkommen mit der EU zur Folge hätte.

• Innerhalb der landwirtschaftlichen Verarbeitungskette gibt es einen hohen Konzentrationsgrad bei den Vorleistungen, teilweise bei der nachgelagerten Verarbeitung und vor allem beim Handel. Dies bewirkt eine massive Asymmetrie der Marktmacht und eine tendenzielle Unterbezahlung der Landwirtschaft.

• Die Preiskonkurrenz an der Absatzfront zwingt die industriellen Verarbeiter der zweiten Stufe zu immer weiteren Innovationen und zur Steigerung der Markenqualität (Qualitätsstrategie). Damit können sie die Marktspanne zwischen Preisen und Kosten zu ihren Gunsten erweitern. Nicht so die Bauern und die Verarbeiter der ersten Stufe: Deren Lebensmittel von hoher Qualität (z.B. Getreide und Mehl) bleiben im Absatz an die industriellen Verarbeiter der zweiten Stufe nach wie vor austauschbar und sind dadurch in höherem Masse der Preiskonkurrenz ausgesetzt. Dadurch wird die Marge zwischen Preisen und Kosten ständig nach unten gedrückt und der Landwirtschaft zusammen mit der Verarbeitung der ersten Stufe verbleibt eine zu geringe Wertschöpfung.

• In den grossen Agrarländern der Welt wird die Landwirtschaft durch Exportsubventionen unterstützt, was dazu führt, dass die Landwirtschaft in kleinräumigen Strukturen erst recht einen Importschutz benötigt, um der Konkurrenz aus den Agrarexportländern zu begegnen.

• In Zeiten gestörter Warenflüsse (Tendenz zunehmend) wegen Rohstoffverknappung, schwindender internationaler Kooperationsbereitschaft (vgl. graue Listen, Exportrestriktionen, etc.) und Logistikproblemen (Öl, Handelswege, technische Hochverletzlichkeit, Umwelt, etc.) – ist der Verlass auf unterbruchlose Grundnahrungsmittelimporte aus dem Ausland unrealistisch.

• Importabhängigkeit bei Grundnahrungsmitteln macht Neutralitätspolitik unmöglich.

• Auch die lebenswichtige Energieproduktion, welche wie die Lebensmittelproduktion nicht einfach einen Wachstumsmarkt darstellt, wird subventioniert, und zwar sowohl die nichterneuerbare wie auch die erneuerbare Energie.

Ein verbleibender minimaler Importschutz, Schutz des landwirtschaftlichen Bodens durch die Raumplanung und das Bodenrecht, Direktzahlungen, Investitionshilfen in den Bereichen Gebäude, Maschinen, Boden sowie die Stärkung der einheimischen Landwirtschaft dienen ausdrücklich dem Konsumentennutzen.

Ernährungssicherheit setzt eine eigene Landwirtschaft und eine eigene erste Verarbeitungs-stufe voraus, die auch in Zeiten der Instabilität ohne Unterbrechung funktioniert. Die ‚Agrar-strategie 2025' des BLW beseitigt diese Voraussetzungen. Sehr geehrter Herr Bundesrat, wie Sie beim erwähnten Kontakt vom 25. Oktober in Langenthal uns empfohlen haben, lassen wir Ihrem Generalsekretariat unsere Koordinaten zukommen und sehen einem gelegentlichen Termin mit Ihnen erwartungsvoll entgegen.

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Der Vorstand

Zürich-Oerlikon im Dezember 2010

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